Segler sind faul
Ein Bericht von einem Ostsee-Segeltörn unseres Autors Bernd Wonde. Er ist Segler aus Leidenschaft und sonst mit seinem Boot auf der Oberhavel und dem Großen Wannsee unterwegs.
Wie bitte Segler sollen faul sein- wer behauptet denn so etwas? Ich dachte bisher immer, Segeln ist aktiver Sport und wird sogar professionell betrieben (America’s Cup). Einhand-Segler setzen ihr Leben aufs Spiel für eine noch schnellere Atlantik- oder Weltumrundung. Sind also starken körperlichen und physischen Belastungen ausgesetzt, trainieren hart, halten sich geistig und mental fit. Und diese Segler sollen faul sein?
Mit dem Dickschiff von Stralsund nach Kopenhagen
Segler sind faul – aber nicht dumm. Aha. Der Autor dieser Weisheit ist unser Skipper Lutz. Das Motto begleitet mich ab jetzt auf meinem Ostseetörn an Bord einer Bavaria 44, einem Dickschiff, das im Stadthafen von Stralsund liegt. In Reichweite zum Oceaneum, dem neuen Wahrzeichen von Stralsund. Im Volksmund auch “Klorolle” genannt. Das Schiff hat den Namen Boomerang, was soviel bedeuten kann wie zurück kommen, Heimathafen finden, sich-nicht-verirren usw. Der Fantasie des Lesers sind bei dem Namen keine Grenzen gesetzt.
Vier Männer wollen ans Ruder
Nun also: Segler sind faul – aber nicht dumm. An Bord: Lutz II, der Praktiker im Berufsalltag, an Bord zuständig für Frühstück, rustikales Abendessen und Abwasch. Daniel, der Navigator und Taktiker, erfahren im Umgang mit Kartendaten, Kursbestimmung und Wetteranalyse. Seit kurzem Besitzer eines Segelschein, den er auf der Hamburger Außenalster erworben hat. Immerhin! Des weiteren Hans Jürgen, Bibliothekar aus Stuttgart, begeisterter Besitzer eines SBK-Scheins (Sport Boot Küste). Und zum Schluß der Autor dieser Zeilen, ein Berliner Freizeitskipper mit eigenem Schiff (Optima 92). Es trägt den passenden Bootsnamen No Worries, genau: keine Sorgen, kein Problem. Und so bin ich diese Reise auch angegangen: no worries. Das obige Motto kam mir dabei gut gelegen.
Mit dem Bollerwagen in den Supermarkt
Nach dem Einklarieren an Bord stand die Routenbesprechung an. Lutz I, der Skipper, zeigt uns die Wetterdaten, unser Ziel ist Kopenhagen mit Zwischenstopp in Klintholm. Die Windvorhersage ist gut: Erwartet wird Wind aus West bis Nordwest. Okay, alles klar, die Rollen sind verteilt, die komplette Mannschaft geht bunkern, d.h. mit zwei Bollerwagen vom örtlichen Hafenmeister ziehen wir zum nächsten Supermarkt. Vor dem Seegang ist Landgang angesagt, Bewegung vor dem Faulsein. Essen, Getränke, Süßigkeiten („Och für mich nicht unbedingt“). Unterwegs waren wir froh über Süßes nach Saurem und Grillgut satt („grillt gut“). Ich hatte die Bordkasse, aber schnell ist die Hälfte der Reisekasse ausgegeben. Der Skipper hat Kost und Logis frei. Nach dem Verstauen des Proviants warten wir auf den Abend. Das heißt, eigentlich warten wir nicht, er beginnt so langsam. Wir also rüber zum alten Speicher, frischer Fisch auf’m Tisch und dazu die üblichen Kaltgetränke zum Warmwerden. Kennenlernen, Themenaustausch und so weiter. Neugierig auf den Törn. Und der Wind gibt den Kurs vor. So isses nun mal. Die Nacht wird eingeläutet von hunderten Yachten im Stadthafen, deren Fallen lose baumelnd an den Masten schlagen, mir gefällt’s.
Vorbei an großen Pötten und rauschenden Windrädern
Am nächsten Morgen geht’s im Strelasund unter Motor Richtung Hiddensee, um dann im Fahrwasser über Backbord nach Westen zu steuern. Immer schön im Tonnenstrich bleiben und dem vorausfahrenden Segler folgen. Über Steuerbord drehen wir jetzt Richtung Gellen ab (Hiddensee vorgelagert) und setzen endlich Segel. Klare Seeluft, trocken, leicht gekühlt zu früher Stunde. Alle, wirklich alle wollen mithelfen, aber Lutz I hält uns zurück. „Halt! Segler sind faul aber nicht dumm“. Da ist er nun, der Spruch, der uns von jetzt an begleitet. Und so heißt faul sein nicht übermotiviert an irgendwelchen Fallen und Leinen und Enden ziehen, sondern nach klarer Ansage nur an der Schot ziehen, für die gerade das Kommando gegeben wird. Keiner macht zu wenig, keiner zu viel. Achteraus verliert sich Hiddensee, voraus an Backbord erscheint Baltic 1, ein Windpark vor der Küste. Von hier kommt vielleicht mein Strom für zuhause? Wir erreichen das Hauptfahrwasser für die großen Frachter und Fähren auf ihren Wegen von und nach dem östlichen Teil der Ostsee. Wie klein wir doch sind gemessen an den riesigen Pötten.
Geschafft,wir queren das Hauptfahrwasseer, die großen Schiffe werden kleiner. Klintholm voraus, hier also liegen die berühmten Kreidefelsen von Mon. Im Hafen ist der Liegeplatz bei den Fischkuttern schnell ausgemacht, Landgang steht an. Unter Seglern ist der Hafen beliebt wegen seines großzügigen Buffets im ländlichen Kro, wie die Gasthäuser hier heißen. Die dänische Küche hat für jeden Geschmack fast alles zu bieten. Und als Getränk Fatöl, zu deutsch fettes … nein Fassbier, ein Kaltgetränk, das den ersten Segeltag perfekt beschließt. „Skol“.
Winke, winke kleine Meerjungfrau
Beim Kopman am nächsten Morgen anstehen für Rundstücke (dänische Brötchen) und dazu leckeren dänischen Plunder. Segel setzen und vorbei an Monsklint, die dänische Variante, die bei uns Kreidefelsen von Kap Arkona heißt. Hübsch anzusehen, imposant auch aus sicherer Entfernung. Die Sonne hält sich bedeckt, der Wind hält sich zurück und wir machen gemächlich Fahrt Richtung Kopenhagen. Weit an Steuerbord voraus erkennen wir die geschwungene Linie der Öresundbrücke, hier muss man sich entscheiden, welche Gastlandsflagge an der Backbordsaling gehißt wird. Die schwedische oder die dänische Flagge. Wir setzen den Danebro und bleiben im westlichen Fahrwasser. Tiefflieger steuern auf uns zu! Im Minutentakt kommt ein Flieger nach dem anderen, wir ziehen unwillkürlich die Köpfe ein und durchfahren die Einflugschneise für den Flughafen von Kopenhagen. Winke winke an den Piloten. Die Einfahrt in den Stadthafen ist leicht auszumachen, „sieh mal da, die Menschengruppe, da muss die kleine Meerjungfrau sein“.
Wir machen fest an der neuen Pier in der Stadt, ziemlich genau neben den Stufen zum königlichen Palast. Ziemlich genau gegenüber der neuen Oper von Kopenhagen, in Sichtweite zum neuer Theater. Nach dem unter Seglern üblichen Anlegeschluck („nur ein winziges Tröpfchen, ehrlich“) geht’s in die Altstadt. Der alte Nyhavn direkt zu Fuss voraus, hier lohnt sich ein Landgang immer. Zur Meerjungfrau entgegengesetzt am anderen Ende des Ufers. Tatsächlich, so klein und sooo berühmt. Viele Besucher machen ein Selfie mit ihr, ich mach kein Selfie von ihr sondern von denen, die ein Selfie mit ihr …
Rendezvous zwischen Schieber- und Fellmütze
Am nächsten Morgen ist Waschgang angesagt. In Ermangelung der Duschen, die am äußersten Ende unseres Liegeplatzes in der Tiefgarage angelegt sind, nutzen wir den königlichen Brunnen für die kleine Katzenwäsche. Eigentlich nur Alibi. Die Garde am Stadtschloss patrouilliert auf und ab, immer auf und ab. Lutz II grüßt freundlich, der Kopf mit der Fellmütze nickt zurück. Protokollgerecht? Keine Touristen weit und breit, außer wir, aber wir sind nur vier. Unter Motor verlassen wir den Gasthafen von Kopenhagen, ein letztes Mal winke, winke an die Meerjungfrau.
Neben dem Fahrwasser des Öresund stehen Windräder, aufgereiht wie an der Schnur. Die Rotoren rotieren nicht, kein Wind. Das heißt: Wir segeln nicht, schade. Der Motor (die Eisengenua, wie er unter Seglern auch genannt wird) bringt uns zurück Richtung Rödvig, einem kleinen Segelhafen in der Faxebucht, südlich der dänischen Hauptstadt. Von hier kommt das gleichnamige dänische Bier … Nein, kein Alkohol während der Fahrt.
Text. & Fotos: © Bernd Wonde